11.23.2006

Maria Montessori

Je mehr ich über das Kind Bastian lese, desto ratloser werde ich. Ich greife zu Maria Montessoris Buch, Kinder sind anders, dtv/Klett-Cotta. Die erste Auflage in italienisch erschien 1950, die erste Auflage in deutsch erschien im Oktober 1987, die achte Auflage im April 1993. Ich schreibe hier von Seite 7 bis 10 einige Abschnitte ab, die ich mir vor Jahren markierte und die für mich auch heute noch Gültigkeit haben. Eigentlich müsste ich fast das ganze Buch abschreiben.
Jetzt endlich, nach dreißig Jahren des Studiums, sind wir dahin gelangt, das Kind als ein menschliches Wesen anzusehen, das von der Gesellschaft und schon zuvor von denjenigen Personen zu einer falschen Entwicklung genötigt worden ist, die ihm das Leben gegeben haben und erhalten. Was sind Kinder? Eine dauernde Störung für den von immer schwereren Sorgen und Beschäftigungen in Anspruch genommenen Erwachsenen. Es ist kein Platz für sie in den engen Häusern der moderenen Stadt, in denen sich die Familien zusammendrängen. Es ist kein Platz für sie auf den Straßen, denn die Fahrzeuge beanspruchen immer mehr Raum, und die Gehsteige sind voll von eiligen Menschen. Die Erwachsenen haben keine Zeit, sich um die Kinder zu kümmern, denn auf ihnen lasten dringende Pflichten. Vater und Mutter sind beide gezwungen zu arbeiten, und wo die Arbeit fehlt, da bedrückt und schädigt die Not erst recht Kinder und Erwachsene. Es gibt kaum einen Zufluchtsort, wo das Kind das Gefühl haben kann, dass sein Seelenzustand Verständnis findet, wo es die ihm angemessene Betätigung ausüben darf. Es muss brav sein, sich ruhig verhalten, es darf nichts berühren, was ihm nicht gehört. Alles ist unantastbares, ausschließiches Eigentum der Erwachsenen und für die Kinder verboten. Was gehört ihm? Nichts.
Und weiter unten:
Alles Gute und alles Böse des Menschen im reifen Alter ist eng verknüpft mit der Kinheit, in der es seinen Ursprung hat. Alle unsere Irrtümer übertragen wir auf die Kinder, in denen sie unaustilgbare Spuren hinterlasse. Wir werden sterben, doch unsere Kinder werden an den Folgen des Bösen leiden, das ihren Geist für immer entstellt hat.
Und weiter unten:
Es gilt, unendlich viel Statisches und Erstarrtes im menschlichen Geist zu beseitigen, das ihn daran hindert, das Kind zu verstehen und zu einer intuitiven Kenntnis der kindlichen Seele zu gelangen.
Hier habe ich die Tagebucheinträge von Bastian gelesen.